Pfarrer Stephan Maus Predigt
12/31/21
Liebe Gemeinde,
Alle Jahre wieder feiern wir Weihnachten, aber auch in diesem Jahr wird die Freude am Fest der Liebe und des Friedens durch die Coronapandemie getrübt. Die Angst geht um und sie hat viele Gesichter. Sie eint Menschen und spaltet sie zugleich. Denn noch immer ist alles, was wir persönlich und was die Verantwortlichen in Politik und Wissenschaft sagen und entscheiden, der Notwendigkeit eines Abwägens unterworfen. Die eine eindeutige und klare Lösung gibt es nicht. Es geht noch immer um den Spagat zwischen dem, was wir der Ausbreitung des Virus entgegensetzen können und den Folgen dieser Maßnahmen. Wir haben unsere Erfahrungen gemacht und dazu gelernt, aber leider verändert sich auch die Bedrohung immer wieder. Wir haben für die Feier der Gottesdienste schon lange Schutzmaßnahmen ergriffen und diese auch jetzt wieder an die veränderte Situation angepasst. Wir sind heute sehr viel weniger als wir es vor Corona am Heiligabend waren. Den einen ist das Risiko trotz aller Schutzmaßnahmen zu hoch, denn anderen ist das, was wir unter den bestehenden Auflagen anbieten können, zu wenig. Ich kann beides verstehen. Wir müssen gerade alle immer wieder eine Entscheidung treffen, die keinem von uns leicht fällt und die egal, wie wir entscheiden, nicht nur Zu- sondern auch Widerspruch finden wird. Das gilt es auszuhalten. Ich kann dies heute sehr viel besser als vor 10 oder vor 20 Jahren, obwohl damals von Corona keine Rede war. Die Notwendigkeit unterschiedliche Meinungen abzuwägen und dann Entscheidungen zu treffen, über deren Ausgang ich mir nicht sicher sein kann, ist ja nichts Neues. Das ist die immer wieder kehrende Grundsituation unseres Daseins. Wir haben die Wahl, aber die ist nie unbegrenzt. Wir können Entscheidungen treffen und bleiben dennoch abhängig, von so vielem, das wir nicht in der Hand haben. Das zu lernen und dann auch zu akzeptieren ist für jede und jeden von uns eine Lebensaufgabe. Es gibt keine Garantie, dass uns dies gelingt, aber wir machen uns und allen um uns herum das Leben leichter, wenn wir uns auf diesen Weg machen. Und nur so können wir uns eine Zukunft erschließen. Ich kann gut verstehen, dass Menschen Angst haben. Angst vor einer Ansteckung, Angst vor den Folgen einer Impfung. Angst vor einem übermächtigen Staat. Angst um die demokratische Verfasstheit unseres Landes. Angst vor Rassismus und Deutschtümelei, dem ganzen braunen Dreck, der unser Land schon einmal in den Abgrund gestürzt hat. Angst macht unfrei und raubt uns unsere Menschlichkeit. Sie nährt den Hass und die Illusion als könnte ich, der Zumutung der Unsicherheit und Verletzlichkeit entkommen. Wenn es keine Ausländer mehr in diesem Land gäbe und wir Deutschen uns blieben, wenn der Virus so tödlich wäre, das alle die einen Funken Verstand besitzen, sich ohne weiteres impfen lassen würden und die Fanatiker binnen kurzer Zeit unter der Erde wären, wenn... Ja, es fehlt nicht an Machtphantasien auf allen Seiten. Manche werden bereits heftig ausgelebt, über die entsprechenden Kanälen verbreitet und auf der Straße gebrüllt. Andere schlummern noch in unseren Herzen, vergiften aber bereits unsere Wahrnehmung und unser Denken. Das macht das Weihnachten feiern schwierig. Aber das zeigt auch, wie nötig wir dieses Fest haben. Denn der Kern der Weihnachtsbotschaft ist nach wie vor anstößig und befreiend zugleich. Gott wird Mensch in einem Kind im Stall. Der, der all das hat, wovon wir Menschen träumen, alle Macht im Himmel und auf Erden, der Ewige, der dem Wechsel der Zeiten nicht unterworfen ist, sondern alles was ist, erst ermöglicht, setzt sich all dem aus, was unser Dasein ausmacht, macht sich selbst verwundbar. Ein Säugling, Kind armer Elten, die kein Dach über dem Kopf haben und kurz nach der Geburt nach Ägypten fliehen müssen, weil die Häscher des Herodes allen Neugeborenen in Bethlehem ans Leben wollen. Die Macht, die Jesus bis heute ausstrahlt, ist nicht von dieser Welt, aber sie wirkt in diese Welt hinein, weil Gott in diesem Menschen einen Neuanfang gemacht hat, der auch dich und mich betrifft. Alles wird neu, alles verändert sich, wenn es mir und dir gelingt, uns unserer Verwundbarkeit zu stellen, statt unsere ganze Energie drauf zu verschwenden , vor ihr zu fliehen. Ob das nun Konsum und Zerstreuung oder Hass und Gewalt sind, wir werden damit scheitern. Wir können unserer eigenen Verwundbarkeit nicht entkommen. Da hilft uns kein Impfen und keine Impfverweigerung. Aber mich von dieser Illusion zu befreien, kann es mir einfacher machen, meinen Beitrag dafür zu leisten, dass wir dem Virus Einhalt gebieten und unser Leben nicht von ihm bestimmen lassen. Und noch vieles mehr wird einfacher für mich und andere, wenn ich mich von Gott beschenken lasse, anstecken lasse von seinem Erbarmen, mich mir selbst zuwende und mich annehme in meiner ganzen Unvollkommenheit und meinem bleibenden Gefährdet-Sein. Dann kehrt Friede ein. In meinem Herzen und dann auch in dieser Welt. Denn wo die Angst schwindet, da fallen auch die Mauern. Die Mauern die mich von anderen getrennt haben, die Mauern, in denen ich mich selbst eingeschlossen hatte. Gott kommt im Stall zur Welt, ungeschützt und bedroht, damit wir endlich frei werden. Nicht frei von Not und Bedrohungen, sondern frei inmitten von Not und Bedrohung. Frei, nicht deshalb, weil unsere Träume in Erfüllung gegangen wären, sondern weil Gott mich von Träumen und Ängsten befreit hat, die mich am Leben hindern und uns allen das Leben schwer machen. Dort wo ich mich von dem Traum von der eigenen Unverwundbarkeit befreien kann, dort fängt das Leben erst wirklich an. Amen
12/31/21
Liebe Gemeinde,
An Weihnachten Kind zu sein, das setzt bei uns allen Erinnerungen und Gefühle frei. Selbst in jenen Jahren als an einen Konsumrausch zum frohen Fest nicht zu denken war, haben Eltern alles versucht, um diese Tage für ihre Kinder zu etwas besonderem zu machen. Das Fest der Liebe. Da werden Sehnsüchte wach, die ein jeder, eine jede von uns kennt, auch wenn wir unsere ganz eigene Geschichte mit dieser Sehnsucht haben. Einer Sehnsucht, die oft genug unerfüllt bleibt, die manch eine, manch einer sich gar nicht mehr zugestehen möchte.
Eine Sehnsucht, die ins Leere greift, wird zu einer Quelle von Schmerz und Enttäuschungen. Dagegen möchte sich der eine oder die andere schützen und versucht sein Herz zu verschließen oder dem Fest mit seinen überbordenden Gefühlen zu entkommen. Aber es gibt kein Kind, dass nicht geliebt werden möchte und dieses Kind bleibt ein Teil unserer Persönlichkeit, egal wie alt wir mittlerweile werden durften.
Eltern lieben ihre Kinder, aber nicht immer lassen sie dies ihre Kinder auch wissen. Ein Berg von Spielzeug allein reicht da nicht aus. Da braucht es auch Zeit und die ist knapp. Und es braucht Offenheit und Hinsehen und auch das kann schwierig werden, weil es ja so vieles andere gibt, was die Elten auch beschäftigt. Und da ist da noch die Sache mit dem Annehmen. Das ist wohl das schwierigste Kapitel. Wer sich für ein Kind entscheidet, kann gar nicht anders als damit auch Erwartungen und Hoffnungen zu verbinden. Wem ein Kind geschenkt wird, stet vor der Aufgabe sich von diesen Vorstellungen zu befreien und Ja zu sagen zu dem Leben das ihm anvertraut wurde, so wie es ist.
Manche Eltern sind nicht bereit sich dieser Herausforderung zu stellen. Kinder zu haben ist Teil ihres Lebenskonzeptes. Darin haben die Kinder, die ihnen vorgegebene Funktion zu erfüllen. Sie sind ein Accessoire und spüren sehr schnell, dass sie vor allem dann geschätzt werden, wenn sie keine Probleme bereiten. Da ist das Elend groß, auch wenn der Gabentisch reich gedeckt ist.
Aber auch die Eltern, die ihre Kinder nicht als ihren Besitz betrachten, die sich Zeit für sie nehmen und versuchen hinzuhören und hinzusehen, um ihre Kinder und ihre Bedürfnisse und Interessen wahrzunehmen, merken, dass das nicht so einfach ist. Der gute Wille ist schon viel, aber er allein führt nicht immer zum Ziel. Und es sind ja eben auch noch jede Menge andere Aufgaben zu stemmen.
Wenn eine Familie in Not gerät, dann setzt diese für alle neue Schwerpunkte. Aber auch dort, wo dies nicht geschieht, bleiben Ängste und Unsicherheit nicht aus.
An Weihnachten Kind zu sein. Nicht jede Sehnsucht tut uns gut.
Kind zu sein ist nicht immer eine Idylle, Kinder werden Opfer von Krieg und Gewalt, Krankheiten und Naturkatastrophen, sexueller oder wirtschaftlicher Ausbeutung.
Und ob es den Kindern, die von alldem verschont bleiben, wirklich gut geht, ist längst noch nicht ausgemacht.
Gerade zu Weihnachten werden Kinder mit massiven Erwartungen bombardiert. Sie sollen lieb und brav sein und mit strahlenden Augen Geschenke in Empfang nehmen müssen, mit denen sie manchmal überhaupt nichts anfangen können, deren schiere Menge sie einfach überfordert. Ist das wirklich eine Liebesbezeugung oder doch nur eine weitere von Missbrauch. Auch wenn sich an Weihnachten scheinbar alles um die Kinder dreht, stellt sich für mich hier die Frage, geht es wirklich um sie oder übern sie auch hier nur wieder eine Funktion aus. Müssen Kinder stellvertretend an Weihnachten all das leben, was Erwachsene nicht hinbekommen.
Wenn dem so wäre, dann wären nicht nur die Kinder die Verlierer. Dann wird doch nur zu verständlich, warum das Fest der Liebe trotz all seiner Süße einen bitteren Beigeschmack hat und all die Köstlichkeiten uns am Ende doch nicht satt machen.
Zwischen uns und der Kindheit steht das Vertrauen. Wir können das auch als Erwachsene, aber wir tun uns damit schwer. Wir haben eine weitere Sehnsucht entdeckt, die Sehnsucht nach Freiheit.
Die Sehnsucht nach Freiheit hat unseren Blick auf die Welt und die Menschen um uns verändert. Die Welt ist nicht mehr nur der Ort, wo wir ständig neue Möglichkeiten für uns entdecken können, sondern auch ein Ort, wo wir immer wieder auf Hindernisse stoßen. Wir brauchen die anderen, sie geben uns sehr viel, aber sie stehen uns auch im Weg.
Und plötzlich finden wir uns in einer Welt wieder, die ihren Zauber verloren hat, weil sie kein Schlaraffenland mehr ist. Einer Welt die voller Widersprüche ist, genau wie wir.
Da ist die Sehnsucht nach Gemeinschaft und die nach Individualität. Ich möchte ganz ich selbst sein und gleichzeitig von allen geliebt werden. Das funktioniert nicht.
In mitten so vieler anderer, finden wir uns ziemlich allein wieder. Das liegt nicht nur an Wünschen und Erwartungen, die schwer unter einen Hut zu bringen sind. Da gibt es eine existentielle, eine sehr grundlegende Einsamkeit, der wir nicht entkommen können, auch wenn wir uns mit unseren Widersprüchen auseinander zu setzen suchen. Die Verantwortung für unser Leben kann uns niemand abnehmen.
Sobald die Sehnsucht nach Freiheit in uns erwacht, wachen wir auf jenseits von Eden. Wir können nicht zurück kehren und die Geborgenheit von einst herbeizwingen. Da hilft kein Kinderlachen und keine Weihnachtsdekors so schön das alles auch sein mag.
Seht, welch eine Liebe hat uns der Vater erwiesen, dass wir Gottes Kinder heißen sollen - und wir sind es auch.
Es gibt ein Kind sein, dass auch jenseits von Eden nicht aufhört. Ein Kind sein, dass nie aufgehört hat, das uns zugesprochen wurde, bevor wir das Licht diese Welt erblickten und das uns auch durch die Nacht des Todes hindurch trägt.
Gottes Kinder sind wir, frei und geliebt zugleich. Er will uns so , obwohl diese Freiheit es uns auch ermöglicht, gegen seinen Willen zu handeln. Gott will uns so, obwohl wir diese Freiheit ständig selbst abschaffen, weil wir unser Leben fremden und eigenen Ansprüchen unterwerfen.
Gottes Kinder sind wir, frei und geliebt zugleich. Aber wir tun uns schwer, das auch zu leben.
Weil wir mehr sein wollen als wir nach unserer Einschätzung sind, holen wir das nicht ein, was Gott uns längst geschenkt hat.
Seht, welch eine Liebe hat uns der Vater erwiesen, dass wir Gottes Kinder heißen sollen - und wir sind es auch.
Jenseits von Eden, ist das Leben anstrengend und gefährlich. Wie die Israeliten nach den Kochtöpfen Ägyptens sehnen sich viele Erwachsene nach den vermeintlich unbeschwerten Tagen ihrer Kindheit. Es geschieht nicht zwangsläufig, dass unsere Sehnsucht nach Freiheit in ein Erwachsen werden mündet. Manche möchten den Preis, den das Freisein fordert, nicht zahlen, sie wollen frei sein und gleichzeitig Kind bleiben.
Der Staat soll ihnen keine Vorschriften machen und keine Pflichten auferlegen, aber alles ermöglichen. Das kann so nicht funktionieren und ist eine Gefahr für die Demokratie. Die braucht mündige Bürger, die wissen, was es bedeutet Verantwortung zu tragen und ihre Erwartungen an die da oben, entsprechend anpassen können. Davon haben wir auch Gott sei dank noch sehr viele.
Laut und aggressiv meine vermeintlichen Rechte einzufordern, bewahrt mich nicht vor der Zumutung Erwachsen zu werden. Wenn ich mich hier verweigere, richte ich viel Schaden an, bei anderen, aber vor allem auch bei mir selbst.
Frieden werde ich so nicht finden. Das Gefühl angenommen zu sein und geliebt zu werden, wird sich so nicht einstellen.
Was wir Menschen wollen, ist oft so viel mehr als uns gut tut. Was wir Menschen fürchten, geht oft über jede reale Bedrohung weit hinaus.
Gott kennt unsere Not. Seine Antwort finden wir im Stall zu Bethlehem, in dem Kind in der Grippe. Gott macht sich verwundbar, liefert sich aus, verzichtet auf alle Machtgebärden. Denn er weiß, dass auch wir nur dann Erlösung finden, wenn wir ihm auf diesem Weg folgen.
Gott kommt im Stall zur Welt, um uns dort abzuholen, wo wir sind. Wir Menschen betreiben einen gewaltigen Aufwand, um uns vorzumachen, irgendwo anders zu sein. Ob durch Konsumorgien oder durch Machtgebaren auf der Straße oder hinter dem Schreibtisch. Hauptsache weg vom eigenen Elend. Aber das funktioniert nicht. Das Elend holt uns ein und wir machen es beim Versuch ihm zu entkommen nur größer. Andere bezahlen den Preis, aber am Ende immer auch wir. Frieden geht anders und wie das gehen kann, wie du und ich dort hin gelangen können, dass macht Gott uns vor. Er wird Mensch damit wir aufhören können, mehr sein zu wollen. Geborgenheit und Frieden gibt es für uns jenseits von Eden, in dieser zerrissenen Welt und in unseren zerrissenen Herzen. Wir sind nicht die, die wir sein möchten und wir tun auch nicht immer, was Gott von uns will, aber wir sind und bleiben seine geliebten Kinder, die es besser können. Wohin auch immer wir geflohen sind, in was
auch immer wir uns hinein gesteigert haben, komm herunter spricht Gott, komm zu mir, ich bin doch längst schon da. Und dann fangen wir gemeinsam an, verletzlich und verwundbar, ohne Likes oder tosenden Applaus, aber dafür mit einer Freiheit im Herzen, die uns nichts und niemand geben kann, schon gar nicht wir selbst, die Gott aber immer schon für uns bereithält. Seht, welch eine Liebe hat uns der Vater erwiesen, dass wir Gottes Kinder heißen sollen - und wir sind es auch. Amen
Und der Friede Gottes, der all unser Begreifen übersteigt, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.
12/31/21
Predigt:
Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Hlg. Geistes sei mit euch allen. Ist es noch weit? oder Wann kommt den das Christkind? Das sind Fragen die viele Eltern in den letzten Tage gehört haben dürften, wenn sie mit ihren Kindern das Weihnachtsfest gefeiert haben oder unterwegs zu Familienbesuchen waren. Es sind nicht nur die Kinder, die ungeduldig sind. Menschen, die im Service arbeiten, in Hotels und Gaststätten, im Verkauf oder in den Krankenhäusern bekommen eine zunehmende Ungeduld zu spüren, die sich dann auch in Unhöflichkeiten, ja zum Teil auch in offener Aggression ausdrückt. Es gibt da eine Tendenz vor allem sich selbst und die eigenen Rechte zu sehen und zu erwarten, dass alle anderen sich gefälligst danach zu richten haben. Diese Einstellung ist sicher nichts neues, aber sie wird in den letzten Jahren doch immer offener und lautstarker vertreten. Polizistinnen, Feuerwehrleute und Rettungsassistenten können ein Lied davon singen. Zu viele aufgeblasene Egos. Das ist nicht gut. Ungeduld ist aber keineswegs nur ein Problem der anderen. Auch wenn wir zu den rücksichtsvolleren Zeitgenossen gehören, kennen wir Situationen, in denen es uns schwer fällt, geduldig zu bleiben. Ungeduld ist etwas zu tiefst menschliches und dennoch etwas, was wir nicht einfach mit einem Lächeln abhaken können, weil diese Ungeduld zerstörerische Formen annehmen kann, weil wir ,von ihr getrieben, nicht nur anderen schaden, sondern auch uns selbst beschädigen. Gott traut uns da mehr zu. Jesus hat diese Botschaft in verschiedenen Gleichnissen zum Ausdruck gebracht, die um den Bereich des Säens und Erntens kreisen. 24 Er legte ihnen ein anderes Gleichnis vor und sprach: Das Himmelreich gleicht einem Menschen, der guten Samen auf seinen Acker säte. 25 Als aber die Leute schliefen, kam sein Feind und säte Unkraut zwischen den Weizen und ging davon. 26 Als nun die Saat wuchs und Frucht brachte, da fand sich auch das Unkraut. 27 Da traten die Knechte zu dem Hausvater und sprachen: Herr, hast du nicht guten Samen auf deinen Acker gesät? Woher hat er denn das Unkraut? 28 Er sprach zu ihnen: Das hat ein Feind getan. Da sprachen die Knechte: Willst du denn, dass wir hingehen und es ausjäten? 29 Er sprach: Nein! Damit ihr nicht zugleich den Weizen mit ausrauft, wenn ihr das Unkraut ausjätet. 30 Lasst beides miteinander wachsen bis zur Ernte; und um die Erntezeit will ich zu den Schnittern sagen: Sammelt zuerst das Unkraut und bindet es in Bündel, damit man es verbrenne; aber den Weizen sammelt mir in meine Scheune. Da lässt sich einer von dem Bösen nicht aus der Ruhe bringen. Nicht das er es nicht sehen oder gar leugnen würde. Der Hausvater macht sich nichts vor. Er weiß, was sein Feind ihm angetan hat, um ihn um den Ertrag seiner Arbeit zu bringen. Der Anbau von Getreide ist auch heute noch ein Geschäft, das einen hohen Aufwand einfordert und vielen Unwägbarkeiten unterliegt. Aber das gilt allem Fortschritt in Wissenschaft und Technik zum Trotz, wohl auch heute noch für alles, was wir Menschen planen und anpacken. Selbst wenn es da niemanden gibt, der unsere Arbeit bewusst sabotiert, mangelt es nie an Widrigkeiten und Hindernissen. Ich kann das persönlich nehmen und gekränkt reagieren. Ich kann mich als das arme Opfer böser Ränke sehen, in eine feindliche Welt geworfen, in der mich niemand versteht und alle gegen mich sind. Die Versuchung, so zu denken, dürfte keinem von uns fremd sein. Eigentlich wissen wir, wohin das führt. Es ist der sicherste Weg mich selbst unglücklich zu machen. Dennoch tappen wir immer wieder in diese Falle. Unklare Situationen sind schwer auszuhalten. Unsere Instinkte sind auf eine rasche Entscheidung zwischen Angriff oder Flucht gepolt. Was für ein Tier überlebenswichtig ist, kann uns zum Nachteil gereichen. Unsere Möglichkeiten gehen über ein instinktives Verhalten weit hinaus, wir haben die Welt zu unseren Gunsten verändert und tun es weiterhin. Wir mussten aber dabei feststellen, wie hoch komplex die Zusammenhänge sind, in denen wir leben. Da ist es nicht immer gut eine möglichst schnelle Klärung herbeischaffen zu wollen, wie es die Knechte in unseren Gleichnis möchten. Sie wollen den Schaden, den der Feind angerichtet hat, möglichst schnell wieder beseitigen. Das ist eine Reaktionsweise, die auch mir nicht unbekannt ist und da bin ich sicher nicht allein. Wann immer in dieser Welt ein Unglück geschieht, schnellt der Druck der Erwartungen nach oben, ganz schnell soll eine Erklärung her und dann auch Abhilfe, soweit diese überhaupt möglich ist. Journalisten und Journalistinnen fühlen sich als kritisches Sprachrohr der Massen, wenn sie diese Erwartungen sofort ventilieren. Dass sehe ich eher kritisch. Hier wird eine Erwartungshaltung kultiviert, die ich für reichlich infantil halte. Wer an irgendeiner Stelle auf Gottes Erde irgendwann Verantwortung übernommen hat, weiß dass es dann anderer Dinge bedarf. Wenn ich dann sinnvolle Entscheidungen treffen soll, muss ich mir zunächst einmal einen Überblick verschaffen. Das kostet Zeit, aber wenn dieser Schritt nicht getan wird, mündet alles Handeln in blinden Aktionismus und wir bleiben am Ende hinter dem, was eigentlich getan hätte werden können, zurück. Zu meinen, ich könnte ein Problem rasch gelöst bekommen, indem ich ganz viel Druck aufbaue, erweist sich regelmäßig als Irrtum, auch wenn manch einer sich das nicht eingestehen kann oder will. Das fängt beim zum Zusammenbauen eines Regals an und gilt in weit größerem Maß, wenn es darum eine die ganze weltumfassende, anhaltende und sich verändernde Bedrohung wie den Corona-Virus zu bekämpfen. Dass sich dabei Meinungen und Einschätzungen verändern, ist normal und kein Ausweis von Wankelmütigkeit oder Politikversagen. Das gilt aber nicht nur für die da oben, dass gilt auch für unsere ganz persönlichen Projekte. Für die, die wir uns vorgenommen haben genauso wie für die, die uns auferlegt wurden. Ja, wir sehnen uns nach Klarheit gleich und sofort. Aber die gibt es nur in den seltensten Fällen. Auf weiten Strecken unseres Lebens müssen wir mit Unsicherheiten leben. Das tut niemand von uns gerne, aber es ist möglich. Der Hausvater in unserem Gleichnis sagt den Knechten: „Wenn ihr jetzt anfangt Keimlinge auszurupfen, könnt ihr noch gar nicht wissen, was davon Unkraut ist und was Weizen. Ihr werdet den Schaden im Zweifelsfall nur größer machen als er bereits ist. Wartet ab, bis die Zeit der Ernte gekommen ist und wir Unkraut vom Weizen unterscheiden können.“ Die Entscheidung des Hausvaters beruht auf seiner Erfahrung. Er hat gelernt, dass der erste Gedanke nicht immer der beste Gedanke ist, dass es sich lohnt sich in Geduld zu üben, auch wenn uns das schwer fällt. Gelassen bleiben, statt immer gleich im hier und jetzt ein endgültiges Urteil zu fällen. Die Tür offen zu halten, statt sie vor der Zeit endgültig zuzuschlagen. Das bringt mich persönlich, das bringt uns als Gesellschaft weiter. Es bedeutet nicht zu allem Ja und Amen zu sagen, bedeutet nicht, dass alles gleich gültig und somit beliebig wäre. Aber es bedeutet, dass es ganz oft seine Zeit braucht, bis ich richtig und falsch voneinander unterscheiden kann. Diese Zeit haben wir, Gott schenkt sie uns und macht uns Mut sie zu nutzen. Ja, es gibt das Böse - in dieser Welt und auch in uns selbst. Gott weiß darum, er macht sich nichts vor. Ja, er lässt es geschehen. Uns fällt es schwer dies zu verstehen, aber vielleicht täten wir gut daran, von Gottes Geduld zu lernen. Er verzichtet darauf seinen Willen hier und jetzt mit all seiner Macht durchzusetzen, weil er etwas anderes mit dieser Welt vorhat. In ihr wächst sein Reich immer schon und es wird sich am Ende durchsetzten. Aber so, dass es uns mitnimmt und nicht indem es sich uns einfach aufdrängt. Am Ende wird es offenbar, was das, was ich gelebt habe, taugt. Ob ich die Zeit, die Gott mir geschenkt hat, genutzt oder vergeudet habe. Ob die Ewigkeit mein Zeit berührt hat oder ich nur an Vergänglichem hing. Gott lässt mir Zeit zum wachsen, Irrtümer und Abwege miteingeschlossen. Die Mächte des Todes fordern mich heraus, all das, was mich und andere am Leben hindert, was Gemeinschaft zerstört, was mir die Hoffnung und die Liebe raubt. Aber solange ich atme, kann ich diesen Mächten widerstehen, kann ich jederzeit zu Gott umkehren und zu leben beginnen, kann ich die verrinnenden Jahre zur erfüllten Zeit werden lassen, kann ich teilhaben am Wachsen es Reiches Gottes, das mir und dieser Welt Frieden bringt. Ganz egal was da morgen auf mich wartet. Meine Zeit steht in Gottes Händen, seine Hände tragen mir durch alle Zeiten und fangen mich auf, wenn meine Zeit endet. Und der Friede Gottes der all unser Begreifen übersteigt, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.
Predigt Pfarrer Stephan Maus, Gesang und Orgel Brigitte Dörr
Johannes 15, 1-8 "Ich bin der Weinstock und ihr seid die Reben"
Videoandacht mit Presbyterinnen aus Sponheim und Bockenau
Videoandacht mit den Presbyterinnen aus Mandel
Wolke der Zeugen, Umgang mit der Bibel. Die Bibel als Buch voller Einladungen. Deutung des Kreuzestodes Jesu. Befreiung statt schlechtes Gewissen.
Thema: Rassismus, Ausgrenzung, Vorurteile
Liebe Gemeinde,
Rassismus ist ein Phänomen, dass Hass sät, Leid verursacht und Gesellschaften spaltet.
Um Rassismus zu erklären kann man historische, politische, soziologische und psychologische
Argumente anführen. Aber was hat das mit dem Glauben zu tun?
An Vorurteilen gegenüber Andersgläubigen hat es auch in der Geschichte der Christenheit leider
nicht gemangelt und es gab sogar Versuche Rassismus und Christentum miteinander zu versöhnen.
Aber all diese Versuche haben sich als unhaltbar erwiesen. Die Überwindung aller Grenzen, die uns
Menschen trennen, ist der Auftrag Christi an die, die seine Botschaft weitergeben möchten.
Dass Menschen einander feindselig und ablehnend betrachten, ist kein neues Phänomen und
dennoch nicht unsere Schicksal.
In der Bibel finden wir die Geschichte von Kain und Abel, die mehr erzählt als nur die Geschichte
zweier Brüder. Sie will verstehen helfen, warum der Mensch dem Mensch zum Feind werden kann.
Kain lebt vom Ackerbau, Abel von der Viehzucht. Beide haben ihr Auskommen, könnten friedlich
miteinander auskommen, sich gegenseitig ergänzen. Aber es kommt anders. Warum? Beide danken
Gott mit einem Opfer. Abels Opfer wird angenommen und Kains nicht. Und fortan beginnt Kain
seinen Bruder mit anderen Augen zu sehen. Ihn als Konkurrenten zu betrachten, dem ein Vorteil
gewährt wurde, der ihm versagt blieb. Dieser Vorgang wiederholt sich in der Geschichte der
Menschheit immer wieder bis auf den heutigen Tag. Es gibt Kulturen, die diesem
Konkurrenzdenken entgegenwirken und es gibt Kulturen wie die unsere, die Konkurrenzdenken
fördern, weil sie es als Motor des Fortschritts betrachten.
Wir Menschen sind verschieden und es besteht immer das Risiko, dass wir diese Unterschiede als
Vorzug oder Nachteil bewerten. Die Güter dieser Erde würden ausreichen, die Menschheit zu
ernähren. Aber da gibt es eben auch diesen Hunger nach Anerkennung und Bestätigung und die
Furcht, verachtet zu werden. Sie stehen einer gerechten Verteilung von Lebenschancen im Weg.
Dieser Hunger und diese Furcht verdüstern meinen Blick, lassen mich die anderen als Konkurrenten
erleben - und schon lauern überall Kränkungen.
Kain und Abel versuchen beide Gott mit einem Opfer zu danken, aber nur einer hat Erfolg. Das
kommt vor. Nichts ist so wechselhaft, wie der Erfolg menschlicher Anstrengung. Das wissen wir
alle. Mal hat der eine, mal der andere Erfolg. Also kein Grund sich aufzuregen.
Ich kann den selben Vorgang aber auch anders sehen, als Zurückweisung erleben und mich selbst
als von Gott, dem Schicksal oder wem auch immer benachteiligt. Dann wird aus etwas, womit ich
jederzeit rechnen muss, etwas, das mein Selbstwertgefühl in Frage stellt. Dann ist da plötzlich diese
Schwere und die schlägt schnell um in Verzweiflung und Wut.
Dass Menschen sich miteinander vergleichen, wird sich nie ganz verhindern lassen. Aber glücklich
werde ich so nicht. Denn es kann mir ja noch so gut gehen, ich werde immer auf etwas stoßen,
woran sich mein Zweifel festmachen kann. Ich werde stets einen Grund finden, mich benachteiligt
und zurückgesetzt zu fühlen, weniger wertgeschätzt als andere.
Wie gut, wenn es dann jemanden gibt, dem ich nur ins Gesicht zu schauen brauche, um zu wissen,
der oder die steht auf jeden Fall unter mir. Das ist das verführerische Versprechen des Rassismus,
die Gewissheit, egal wie du im Vergleich mit anderen abschneidest, du wirst nie ganz unten landen.
Denn dieser Platz ist bereits für andere reserviert. Dazu musst du gar nichts beitragen und daran
können die auch nichts ändern.
Deshalb hält sich rassistisches Denken so hartnäckig, deshalb halten Menschen so krampfhaft an
ihm fest. Wenn ich die Welt als einen Ort sehe, wo ich mich in permanenter Konkurrenz ständig
neu erschaffen muss, dann verspricht der Rassismus hier Entlastung.
Natürlich nur für einen Teil der Menschheit und auf Kosten aller anderen. Aber das ließe sich auch
über den Kosmopolitismus der modernen ökonomischen Eliten sagen. Der global agierende
Kapitalismus rekrutiert seine Akteure weltweit. Geld kennt keine Hautfarbe, auch wenn die
Verteilung von Reichtum und Armut noch immer das koloniale Erbe widerspiegelt. Aber da ist
einiges in Bewegung geraten. Im 19. Jahrhundert lieferte die rassistische Vorstellung von der
Überlegenheit des weißen Mannes die Rechtfertigung für eine imperialistische Expansionspolitik.
Im Kapitalismus der Zukunft darf das Management ruhig bunt aussehen. Hauptsache alle
spielen das gleiche Spiel und sorgen dafür, dass die Reichen noch reicher werden, egal wie viel Leid
und Zerstörung damit einhergehen.
Rassismus ist etwas, was in führenden Kreisen als peinlich gilt, was nicht bedeutet, dass er nicht
auch dort sein Unwesen triebe. Und anderswo gilt: wer wenig Alternativen hat, klammert sich
auch an ein so fragwürdiges Gebilde, das im im Grunde nichts anders ist als eine gemeine Lüge.
Mit Brutalität nach außen wird diese innere Schwäche zu überspielen versucht. Aber das macht
das ganze nur noch hässlicher und noch erbärmlicher und treibt die Flucht in die Lüge immer weiter
voran.
Rassismus ist nicht nur ein himmelschreiendes Unrecht. Er produziert auf allen Seiten letztlich nur
Verlierer. Im Kampf gegen Rassismus geht es um soziopolitische Bedingungen, pädagogische
Ziele und psychische Strukturen, die es zu verändern gilt. Es geht aber auch um den Glauben.
Auf was vertraue ich im Leben? Kann ich darauf vertrauen, dass Gott mich liebt, so wie ich bin?
Kann ich akzeptieren, dass Gott für jeden von uns einen anderen Weg haben kann, ohne damit den
einen mehr und den anderen weniger zu lieben?
Dieses Vertrauen zu stärken, befreit mich vom Zwang, mich ständig mit anderen zu vergleichen.
Und damit wird auch dem Rassismus seine Grundlage entzogen. Ich brauche dann niemand mehr,
der durch seine Hautfarbe automatisch unter mir steht. Ich muss nicht länger auf jemand
herabsehen, um mich größer und besser zu fühlen.
Ich kann gemeinsam mit allen anderen Menschen dem ins Antlitz schauen, der sich vom Himmel
herunter auf Augenhöhe zu mir begeben hat und mir zusammen mit allen anderen Menschen die
Größe verleihen kann, dieses Leben mit allem, was es ausmacht, anzunehmen. Ecce homo, seht
diesen Menschen am Kreuz, erkennt euch selbst und werdet frei von der Angst, die den Dünkel
gebiert, den Neid und den Hass. So frei, dass ihr in dem anderen nicht mehr den Konkurrenten
seht, sondern den Bruder, die Schwester, die gemeinsam mit euch dazu berufen sind, an Gottes
Reich der Gerechtigkeit und des Friedens zu bauen. Ecce homo, seht diesen Menschen am Kreuz.
So tief hat sich der Sohn Gottes erniedrigt, damit wir uns nicht länger über einander erheben
müssen, damit wahr wird, was der Apostel Paulus (Galater 3,28 ) schreibt : Hier gibt es keinen
Unterschied mehr zwischen Juden und Griechen, zwischen Sklaven und freien Menschen,
zwischen Mann und Frau. Denn durch eure Verbindung mit Jesus Christus seid ihr alle
zusammen ein neuer Mensch geworden. Amen
Diakonin Sabine Junkermann-Fuchs (YouTube-Video)
Die Frucht des Lichts ist lauter Güte, Gerechtigkeit und Wahrheit.
Recht und Gerechtigkeit, Idealismus und Realismus, Endlichkeit und die Fülle des Lebens | Videoandacht Pfarrer Stephan Maus, Noah Jordan (Orgel), Vanessa Betz (Gesang)
Hoffnung auf Stärke, Verrat an mir selbst, Größe und Hoffnung durch Annahme und Vertrauen.
02/14/21
Andacht mit Diakonin Sabine Junkermann-Fuchs | YouTube-Video
02/07/21
Lukas 8, 5-8
5 Ein Bauer ging aufs Feld, um seinen Samen zu säen. Als er die Körner ausstreute, fiel ein Teil von
ihnen auf den Weg. Dort wurden sie zertreten und von den Vögeln aufgepickt. 6 Andere Körner fielen
auf felsigen Boden. Sie gingen auf, vertrockneten dann aber, weil sie nicht genug Feuchtigkeit hatten.
7 Wieder andere Körner fielen mitten in Dornengestrüpp, das wuchs mit auf und erstickte das Korn.
8 Andere Körner schließlich fielen auf guten Boden, gingen auf und brachten hundertfache Frucht.«
Liebe Gemeinde,
Um das zu erreichen, was wir uns wünschen, braucht es Ausdauer und Geduld. Das wissen wir, das
haben wir alle schon oft erlebt. Rückschläge, Fehlentwicklungen sind Hindernisse, mit denen ich
rechnen muss, die aber einen Erfolg nicht zwangsläufig verhindern.
Im Kampf gegen die Coronapandemie spielen Ausdauer und Geduld eine zentrale Rolle. Da wird
enormes geleistet, aber auch deutlich, dass wir Menschen nicht beliebig lange über Geduld und
Ausdauer verfügen. Es gibt Branchen, die gerade boomen und andere, die kaum Auswirkungen zu
spüren bekommen. Da gibt es die, die auf sehr wechselhafte Wochen und Monate zurückblicken,
und jene gesellschaftliche Bereiche, denen nun seid fast einen Jahr Stillstand zugemutet wird. In so
einer Lage kommen Geduld und die Ausdauer an ihre Grenzen. Wenn die finanziellen Ressourcen
ausgeschöpft sind, liegen die Nerven blank. Aber gerade aus diesen Bereichen wurden in letzten
Wochen immer wieder Stimmen laut, die leidenschaftlich an die Disziplin ihrer Mitbürger
appellieren. Stimmen, die darum bitten, nur ja den Lockdown nicht zu früh zu beenden, damit statt
des permanenten Auf und Ab endlich auch ein Ende in Sicht kommen kann. Gerade für die
wirtschaftlich am stärksten Betroffenen bietet ein Durchwurschteln, in dem die momentane
Gefühlslage der breiten Mehrheit den entscheidenden Ausschlag gibt, keine wirkliche Perspektive.
Medien haben die Aufgabe, Fehler und Nöte aufzudecken. Aber ganz entscheidend ist, in welcher
Haltung dies geschieht. Ich stelle mich als Medienverantwortlicher nicht in die Tradition der
Aufklärung, wenn ich durch ein permanentes Skandalisieren Menschen in einem infantilen
Wunschdenken bestärke. Ja, es wäre schön, morgens aufzuwachen und alles wäre wieder wie früher.
Sehr Realistisch ist das aber nicht. Die meisten Menschen können mit so einem Wunschdenken
vernünftig umgehen, weil sie das in vielen anderen Situationen gelernt haben.
Diese weit verbreitete Kompetenz gilt es zu stärken, nicht nur um der Coronapandemie irgendwann
Herr zu werden, sondern um Menschen zu befähigen ein erfülltes Leben zu führen, auch wenn nicht
alle Wünsche sofort in Erfüllung gehen und manche Wünsche auch gar nicht.
Der Sämann in unseren Gleichnis nimmt so manchen Verlust in Kauf. In der modernen
Landwirtschaft hat die Steigerung von Effizienz sehr viel gutes bewirkt für alle Beteiligten, aber da
gibt es weiterhin Grenzen und Unverfügbares. Nicht alle Entwicklungen erweisen sich am Ende als
ausschließlich segensreich. Tierwohl, Umweltschutz und ein Einkommen, das die Erzeuger vor
permanenter Selbstausbeutung schützt, sind deshalb zentrale Ziele. Nur der Weg dorthin führt nicht
über romantisches Wunschdenken, sondern über ein ständiges Ausprobieren und Abwägen.
Ideologische Grabenkämpfe, die in Dauerscheingefechten medienwirksam ausgetragen werden,
helfen weder Mensch, noch Tier, noch Natur.
Nicht nur in der Landwirtschaft, sondern auch in anderen Wirtschaftsbereichen braucht es Ausdauer
und Geduld. Wenn ein Produkt rasenden Absatz findet, nimmt dies die Öffentlichkeit mit
Bewunderung und/ oder Neid zur Kenntnis. Aber bevor dieses Produkt auf den Markt gehen konnte,
musste lange geforscht und getestet werden. Auch hier fällt der Erfolg nicht vom Himmel.
Aber wenn der dann da ist, verlieren er alle Mühen und Fehlentscheidungen schlagartig an Gewicht.
Das Gleichnis vom Säen will uns Mut machen. Es geht nicht um billiges Vertrösten, sondern um eine
realistische Erwartungshaltung.
Dir steht alles zu und zwar sofort. Wer solche Botschaften verkündet, will Menschen einfangen und
manipulieren, will mit pseudoemanzipatorischen Appellen Menschen in einem unreifen Stadium
ihrer Persönlichkeitsentwicklung festhalten, um sie vor den eigenen Karren spannen zu können.
Was so freundlich und vielversprechend klingt ist eine Falle und wir alle haben Anteile in uns, die auf
diesen Köder nur allzu gerne anspringen.
Aber die meisten von uns haben auch irgendwann gelernt, wie töricht so eine Verhalten wäre.
Manchmal geht es einfach nur darum, eine Erkenntnis, die ich einen Bereich meines Lebens längst
gemacht habe, in andere Lebensbereiche zu übertragen. Ob ich Landwirtin bin oder Handwerker,
Forscher oder Therapeutin, wenn ich versuche meine Arbeit gut zu machen, komme ich nicht um die
Erkenntnis herum, dass Geduld und Ausdauer hierfür unverzichtbar sind. Warum sollte dies in
anderen Lebensbereichen anders sein? Wieso sollte eine Partnerschaft auf Anhieb gelingen und
automatisch in ein immer währendes Glück münden? Wieso sollte es für komplizierte
gesellschaftliche Fragen einfache Antworten und schnelle Lösungen geben ? Wieso sollte der
Glauben etwas sein, zu dem ich mich einfach nur entschließen muss, um dann sofort glücklich und
sicher für alle Tage zu werden? Wieso sollte die Weitergabe des Glaubens ein Geschehen sein, dass
automatisch Früchte zeitigt, wenn ich mich nur genug anstrenge?
Jesus verwendet in vielen Gleichnissen Alltagsvorgänge, um die Menschen bei ihren Kompetenzen
abzuholen. Wenn ihr anderswo längst gelernt habt, realistisch und zuversichtlich zugleich die Dinge
anzugehen, warum tut ihr das nicht auch dort, wo es um die großen und wichtigen Themen des
Lebens geht?
In den Kirchen wird gerade heftig über die neuen digitalen Formen des Gottesdienstes oder des
Konfirmandenunterrichts diskutiert. Ich kann diese als die Lösung für die Zukunft hochjubeln oder
als die endgültige Abkehr von allem, was uns lieb und heilig ist, verteufeln. Ich kann den Ball aber
auch flach halten, mich über die Erweiterung der Möglichkeiten freuen, dankbar dafür sein, dass ich
trotz vieler Einschränkungen handlungsfähig bleibe und genauso auch die Grenzen und Risiken dieser
Entwicklung sehen und berücksichtigen.
Der Bauer in unserem Gleichnis ist doch nicht doof. Der weiß doch um die Gründe, warum viele
seiner Saatkörner nicht aufgehen. Aber er hört deshalb mit dem Säen nicht auf, um in einer
Grundsatzdiskussion zu klären, ob es nicht doch einen Weg zum Erfolg gäbe, ohne Risiken und
Unwägbarkeiten, ohne Verluste und Frustrationen. Dazu ist ihm die Zeit zu schade. Während wir
darüber streiten, ob wir denn wirklich alles richtig machen, zieht das Leben an uns vorüber und mit
ihm die Chance herauszufinden, was uns weiterbringt. Gott weißt uns einen andern Weg. Für den
braucht es Geduld und Ausdauer und jede Menge Mut. Aber so ist das Leben. Macht mal, ihr könnt
das, sagt uns Gott. Und wenn es uns an Mut fehlt, an Weisheit, an Einsicht, an Zuversicht oder
Geduld, dann dürfen wir Gott um all dies bitten. Er lässt uns nicht allein. Amen.
Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist. Lukas 6,36
Wir haben uns im Konfirmandenunterricht mit der Jahreslosung und ihrer Bedeutung auseinandergesetzt. Am Ende habe ich die Konfirmanden gebeten, ihre Meinung in Form von Plakaten auszudrücken. Diesehaben sie gerade sehen können.
Die Konfirmanden haben Barmherzigkeit vor allem als eine Form des Umgangs mit anderen
gedeutet. Ein offenes Herz haben für andere, deren Not sehen und helfen. Das ist ja auch ein
zentraler Aspekt von Barmherzigkeit.
Anderen Menschen beizustehen, ist ein Verhalten, das sich nicht auf die beschränkt, die an Gott
glauben. Aber wer zu dem Gott gehören möchte, der uns in der Bibel bezeugt wird, hat allen Grund
Barmherzigkeit zu üben, denn das verbindet ihn mit einem Gott, der sich immer wieder über uns
Menschen erbarmt. Barmherzigkeit zählt bei Gott mehr als die Herkunft eines Menschen, sein
theologisches Wissen, seine frommen Anstrengungen oder die Opfer, die er für seinen Glauben zu
bringen bereit ist. Es geht bei der Nächstenliebe gerade nicht darum, sich selbst zu opfern, sondern
die Freiheit zu verwirklichen, die das Wissen, von Gott geliebt zu sein, mir schenkt.
Neben dem Umgang mit den Mitmenschen und der Beziehung zu Gott, gibt es aber noch einen
weiteren Aspekt von Barmherzigkeit. Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist. Dieser
Vers steht im Lukasevangelium in einem Kontext, in dem es um das Urteilen geht. Wir sind ja
schnell dabei, Urteile über andere Menschen zu fällen und umgekehrt ist des den meisten von uns
nicht egal, wie die andere uns beurteilen. Im Lukasevangelium heißt es dazu: Richtet nicht, so
werdet ihr auch nicht gerichtet. Verdammt nicht, so werdet ihr nicht verdammt. Vergebt, so wird
euch vergeben. Unsere Urteile über andere fallen am Ende auf uns selbst zurück. Es ist töricht den
Splitter im Auge des anderen anzuprangern und den Balken vorm eigene Kopf zu übersehen. Aber
genau das passiert doch leider viel zu oft.
Was dagegen hilft ist, sich in Barmherzigkeit zu üben - auch gegenüber sich selbst.
Barmherzigkeit bedeutet, Not zu sehen und sich ihrer anzunehmen. Das gilt aber nicht nur für die
Nöte anderer, sondern auch für die eigenen. Barmherzig zu sein, bedeutet die eigenen Bedürfnisse
wahr und ernst zu nehmen, statt mich permanent selbst zu verleugnen. Ich mag mir dann toll
vorkommen, aber das bin ich nicht wirklich. Vor Gott trage ich auch eine Verantwortung gegenüber
mir selbst. Barmherzigkeit bedeutet nicht nur sich anderer anzunehmen, sondern auch mich selbst
annehmen zu können. Wer sich selbst nicht lieben kann und sich deshalb in die Liebe zum Nächsten
flüchtet, der tut sich selbst und den anderen einen Bärendienst. So eine Form der Nächstenliebe
sieht eben nicht hin, sondern benutzt andere nur dazu, sich selbst zu bestätigen. Solange ich das
meine tun zu müssen, hat mich Gottes Liebe noch gar nicht erreicht. Denn die macht frei. Frei auch
von dem Zwang mich ständig mit anderen vergleichen zu müssen, frei von der Angst, dass andere
auf mich herabsehen könnten. Ein Helfen, das darauf zielt, mich vor anderen in ein gutes Licht zu
setzen, hat mit Nächstenliebe wenig zu tun. Das funktioniert auch ganz ohne Gott. Aber genau
darin liegt auch das Problem. Ein Mensch, der sich selbst so unter Druck setzt, andere entweder als
Konkurrenten oder als Objekte für seine Bestätigungswünsche sieht, Gott wenn überhaupt dann nur
als richtende Instanz wahrnimmt, verurteilt sich selbst zu einer existentiellen Einsamkeit, der ist so
allein, wie man nur allein sein kann.
Helfen wollen ist das eine. Hilfe anzunehmen etwas ganz anderes. Im ersten Fall fühle ich mich
stark, im anderen Fall fürchten viele, sich eine Blöße zu geben. Deshalb verlaufen Hilfsangebote
im Sande, deshalb besteht Not fort, obwohl es Möglichkeiten gäbe, sie zu wenden. Wer dem
anderen als Objekt seiner Selbstbestätigung sieht, wird es diesem sehr schwer machen, sein
Hilfsangebot anzunehmen. Denn was so großherzig daherkommt, ist eingehüllt in eine vergiftete
Atmosphäre. Selbsterhöhung für den einen und Erniedrigung für den anderen, dass kommt bei dem
Gott, der selbst aus Liebe vom Himmel herabgestiegen ist, überhaupt nicht gut an. Und auch mir
selbst tue ich damit keinen Gefallen, weil ich mich immer weiter in einem selbstgestrickten Netz
verfange und das Joch, das ich mir auferlege, immer schwerer wird.
Die Einsamkeit endet, wenn ich mich traue, mich dorthin zu begeben, wo Gott längst schon auf
mich wartet. Ich darf mich meiner Schwäche und meinen Abgründen stellen, weil Gott mich
niemals aufgibt. Niemand zwingt mich, mehr sein zu als ich bin. Nicht die Menschen, die mich
lieben oder Gott, der mich liebt - ich allein bin es, der das von mir verlangt. Barmherzigkeit auch
gegenüber mir selbst ist der Schlüssel zu der inneren Freiheit, zu der Gott uns alle berufen hat.
Ohne diese Freiheit ist wirkliche Nächstenliebe nicht möglich. Deshalb gilt auch gegenüber mir
selbst: Sei barmherzig, so wie Gott barmherzig ist. Amen.
01/24/21
1 Es war die Zeit, als das Volk Israel noch von Richtern geführt wurde. Weil im Land eine
Hungersnot herrschte, verließ ein Mann aus Betlehem im Gebiet von Juda seine Heimatstadt und
suchte mit seiner Frau und seinen zwei Söhnen Zuflucht im Land Moab. a
2 Der Mann hieß Elimelech, die Frau Noomi;A die Söhne waren Machlon und Kiljon. Die Familie
gehörte zur Sippe Efrat, die in Betlehem in Juda lebte.
Während sie im Land Moab waren, a
3 starb Elimelech, und Noomi blieb mit ihren beiden Söhnen allein zurück.
4 Die Söhne heirateten zwei moabitische Frauen, Orpa und Rut. Aber zehn Jahre später starben
auch Machlon und Kiljon,
5 und ihre Mutter Noomi war nun ganz allein, ohne Mann und ohne Kinder.
6-7 Als sie erfuhr, daß der HERR seinem Volk geholfen hatte und es in Juda wieder zu essen gab,
entschloß sie sich, das Land Moab zu verlassen und nach Juda zurückzukehren. Ihre
Schwiegertöchter gingen mit.
8 Unterwegs sagte sie zu den beiden: »Kehrt wieder um! Geht zurück, jede ins Haus ihrer Mutter!
Der HERR vergelte euch alles Gute, das ihr an den Verstorbenen und an mir getan habt.
9 Er gebe euch wieder einen Mann und lasse euch ein neues Zuhause finden.«
Noomi küßte die beiden zum Abschied. Doch sie weinten
10 und sagten zu ihr: »Wir verlassen dich nicht! Wir gehen mit dir zu deinem Volk.«
11 Noomi wehrte ab: »Kehrt doch um, meine Töchter! Warum wollt ihr mit mir gehen? Habe ich
etwa noch Söhne zu erwarten, die eure Männer werden könnten?
12 Geht, meine Töchter, kehrt um! Ich bin zu alt, um noch einmal zu heiraten. Und selbst wenn es
möglich wäre und ich es noch heute tun würde und dann Söhne zur Welt brächte -
13 wolltet ihr etwa warten, bis sie groß geworden sind? Wolltet ihr so lange allein bleiben und auf
einen Mann warten? Nein, meine Töchter! Ich kann euch nicht zumuten, daß ihr das bittere
Schicksal teilt, das der HERR mir bereitet hat.«
14 Da weinten Rut und Orpa noch mehr. Orpa küßte ihre Schwiegermutter und nahm Abschied;
aber Rut blieb bei ihr.
15 Noomi redete ihr zu: »Du siehst, deine Schwägerin ist zu ihrem Volk und zu ihrem Gott
zurückgegangen. Mach es wie sie, geh ihr nach!«
16 Aber Rut antwortete: »Dränge mich nicht, dich auch zu verlassen. Ich gehe nicht weg von dir!
Wohin du gehst, dorthin gehe ich auch; wo du bleibst, da bleibe ich auch. Dein Volk ist mein Volk,
und dein Gott ist mein Gott. a
17 Wo du stirbst, will ich auch sterben, und dort will ich begraben werden. Der Zorn des HERRN
soll mich treffen, wenn ich nicht Wort halte: Nur der Tod kann mich von dir trennen!«
Ankunft in Betlehem
18 Als Noomi sah, daß Rut so fest entschlossen war, gab sie es auf, sie zur Heimkehr zu überreden.
19 So gingen die beiden miteinander bis nach Betlehem.
2 Ruth 1,1-19a 3neph3 24.01.2021
Wohin du gehst, dorthin gehe ich auch; wo du bleibst, da bleibe ich auch. Dein Volk ist mein Volk,
und dein Gott ist mein Gott. 17 Wo du stirbst, will ich auch sterben, und dort will ich begraben
werden.
Diese Verse aus unserer Geschichte wurden und werden gerne als Trauspruch gewählt. Wenn man
sie so aus dem Zusammenhang genommen hört, dann kann ich das gut verstehen. Sie bringen das
auf den Punkt, was sich zwei Menschen miteinander vornehmen.
Allerdings geht es in unserem Predigttext nicht um die Beziehung von Mann und Frau und auch
nicht um die eines gleichgeschlechtlichen Paares. Diese schönen Worte sagt eine Schwiegertochter
zur Schwiegermutter. Allen schlechten Scherzen zum trotz, kommt es in der Tat vor, dass zwischen
der Gattin und der Mutter eines Mannes ein so inniges Verhältnis entsteht. Die Regel ist das
allerdings nicht. Auch ansonsten haben wir es hier mit allem anderem als einer romantischen
Erzählung zu tun. Es geht um die Not, in die Frauen in einer vom Patriarchat geprägten
Gesellschaft geraten können und es geht um Solidarität unter Frauen, die nie selbstverständlich ist
schon gar nicht in der Konstellation, die wir in dieser Geschichte vorfinden. Denn es geht auch um
den Umgang mit Fremden, um Flucht und um Integration. Und es geht um Treue, Nächstenliebe,
Erbarmen, um das, was uns mit dem Gott, der uns in der Bibel begegnet, vereint. Wir hören von
ungewöhnlichem, ja skandalösem Verhalten und es wird uns vor Augen geführt, dass Gott auf
krummen Linien grade schreiben kann, wie es Helmut Gollwitzer einst formuliert hat. Es ist eine
herrliche Geschichte, die all die Vorurteile gegenüber der Bibel widerlegt und die ich all jenen, die
die Bibel nicht mehr aufschlagen, weil sie meinen, eh zu wissen, was da drin steht nur wärmstens
empfehlen kann.
Also machen wir einen Ausflug in eine längst vergangene Zeit, auch wenn so manches, was hier
berichtet wird, uns durchaus vertraut sein dürfte. Da haben wir zunächst eine Familie von
Wirtschaftsflüchtlingen. Eine anhaltende Dürre in ihrer Heimat zwingt sie dazu bei einem
Nachbarvolk, den Moabitern, Zuflucht zu suchen. Offensichtlich ist man um Integration bemüht,
denn die Söhne heiraten Frauen aus der neuen Heimat. Aber so einfach ist das natürlich nicht. Auch
heute nicht, selbst wenn man sich progressiv gibt und vermeintlich keine Vorurteile gegen
irgendjemand hegt. Dem Fremden auf der Urlaubsreise zu begegnen oder in der eigenen Familie,
das sind eben zwei paar Schuhe. Besser man bzw. frau stellt sich der Herausforderung und erwartet
nicht von sich und den anderen, dass das doch alles easy sei. Im Buch Esra und auch in anderen
biblischen Büchern wird heftig gegen so eine Verbindung zwischen Juden und Nichtjuden
polemisiert und auch heute noch ist es der Alptraum einer konservativ eingestellten jüdischen
Mutter, wenn der Sohn eine Schickse mit nach Hause bringt und sogar auch noch zu heiraten
gedenkt. Im Judentum hat sich die Regel durchgesetzt, dass Jude ist, wer eine Jüdin zur Mutter hat.
Eine weise Entscheidung. Auch patriarchalisch denkende Männer wissen um die Tücken einer
Vaterschaft, die erst seit der Entwicklung von Gentests sicher nachgewiesen werden kann.
Wer weiß, welche Dramen sich noch in der Generation meiner Eltern abspielten, wenn die Braut
oder der Bräutigam die falsche Konfession mitbrachte, wird sich denken können, dass Noomi nicht
unbedingt begeistert über die Entscheidung ihrer Söhne gewesen sein dürfte. Aber es zeigt sich,
dass sie da Glück gehabt hat, obwohl zunächst das Unglück über sie hereinbricht. Erst stirbt ihr
3 Ruth 1,1-19a 3neph3 24.01.2021
Mann und dann die beiden Söhne. Ohne einen männlichen Beschützer war eine Frau damals
schutzlos der Willkür anderer ausgeliefert. Es gab keine Polizei. Nur die Angst, dass einen die
Brüder und Cousins, Väter und Onkel einer Frau zur Verantwortung ziehen, verhinderte Übergriffe
jeglicher Art. Noomi steht nun ohne diesen Schutz da. Ihre Schwiegertöchter haben immerhin noch
die Möglichkeit zu ihren Ursprungsfamilien zurückzukehren, wobei das keine wirklich verlockende
Perspektive ist. Aufnehmen würde man sie dort schon und auch versorgen, aber zugleich tunlichst
schauen, dass man sie erneut verheiraten kann, damit sie der Familie nicht zur Last fallen und das
tun, wozu sie nach damaliger Vorstellung bestimmt sind: Nachkommen in die Welt zu bringen.
Diese Vorstellung stand alles beherrschend über dem Leben jeder Frau, entschied über deren Wert
und Unwert. Die Vorstellung war so dominant, dass Frauen auch bizarre Wege gingen, um dieser
Aufgabe gerecht zu werden. Wie Tamar, die Schwiegertochter Judas, deren Mann stirbt. Onan, ihr
Schwager, soll sie heiraten und mit ihr ein Kind zeugen, dass dann als Nachkomme des
Verstorbenen gälte. Aber Onan hat dazu keine Lust, er unterbricht den Beischlaf und lässt es auf
den Boden fallen, wie die Bibel so schön beschreibt. Dass er seinem Bruder die Nachkommen
verweigert und ihn damit zu einem ewigen Tod verbannt, gefällt Gott gar nicht und deshalb muss
auch Onan sterben. Daraufhin weigern sich alle anderen Brüder ihrer Schwägerin beizuwohnen und
ihre Pflicht zu erfüllen, dem verstorbenen Bruder Nachkommen zu verschaffen. So greift Tamar zu
einer List. Sie verkleidet sich als Prostituierte, schläft mit ihrem Schwiegervater und lässt sich als
Bezahlung dessen Siegelring geben. Als sich herausstellt, dass sie schwanger ist und der
Schwiegervater sie der Untreue bezichtigt, zeigt sie ihm den Ring und er muss beschämt erkennen,
dass seine Schwiegertochter ihren verstorbenen Ehemann treuer war als dessen Brüder. Tamar hat
dafür gesorgt, dass die Blutlinie nicht abbricht und ihr verstorbener Ehemann in seinen Kindern
weiterlebt. Sie hat ihm Barmherzigkeit erwiesen. Sie hat das getan, was ihm seine Familie
eigentlich schuldig gewesen wäre. Chäsäd lautet das hebräische Wort, das wir mit Barmherzigkeit
übersetzen, das aber auch Treue, Solidarität beinhaltet. Tamar ist eine Kanaanäerin, eine Fremde, so
wie Ruth, die sich zu ihrer Schwiegermutter bekennt, aber beide tun genau das, was Gott von denen
erwartet, die zu ihm gehören wollen. Die Herkunft ist nicht entscheidend, sondern das Handeln, so
wie es uns Jesus auch im Gleichnis vom Barmherzigen Samariter beschreibt. Zu dem barmherzigen
Gott, der die Not seines Volkes in Ägyptern gesehen hat, der sich von dieser Not berühren und
verpflichten lies, gehören alle die, die ebenso wie er handeln. Die Herkunft und alles andere, worauf
wir Menschen uns gerne etwas einbilden, worin wir Zuflucht suchen und von dem wir uns
Sicherheit erhoffen in einer sich ständig sich ändernden Welt, all das hat vor Gott keinen Bestand,
ist ihm nicht einmal ein müdes Lächeln wert. Ganz im Gegenteil fordern wir seinen Zorn heraus,
wenn wir nicht aufhören, uns goldene Kälber zu gießen, diese uralte Torheit immer und immer
wieder begehen, etwas auf den Thron Gottes zu heben, was dort nicht hingehört, weil es doch dem
Bereich des Geschaffenen angehört.
Die Welt könnte anders aussehen, wenn wir Menschen dieser Versuchung nicht immer und immer
wieder erliegen würden, aber es geht auch anders. Davon erzählt uns die Bibel. Davon handelt
unsere heutige Geschichte. Naomi und Ruth, diese beiden tapferen Frauen, in einer scheinbar
ausweglosen Situation, halten zueinander, kehren in Naomis alte Heimat Judäa zurück und finden
4 Ruth 1,1-19a 3neph3 24.01.2021
heraus, welchem männliche Verwandten die Aufgabe zukäme, Ruth zu heiraten und damit sowohl
ihr als auch ihrem verstorbenen Mann und ihrer Schwiegermutter eine Zukunft zu eröffnen. Boas
heißt der Glückliche und die beiden Frauen finden Mittel und Wege, um Boas zu seinem Glück zu
verhelfen. Ruth kann ihn für sich gewinnen und aus den beiden wird ein glückliches Paar. Zu ihren
Nachkommen zählt König David. Im Stammbau Jesu, wie wir ihn beim Evangelisten Matthäus
finden, taucht Ruth auf genauso wie Tamar und Rahab, alle drei sind Nichtjüdinnen,
Ausländerinnen und noch dazu mit zweifelhaften Ruf. Rahab war die Prostituierte, die die
Kundschafter, die Josua nach Jericho geschickt hatte, versteckte und ihnen half, wieder aus der
Stadt zu kommen. Chäsed hat auch sie geübt, Erbarmen und Solidarität, was Parteilichkeit nicht
ausschließt. Der Gott, der sich der Not seines Volkes in Ägypten erbarmt, ertränkt die Armee des
Pharao im Meer, nachdem er zuvor alle Erstgeborenen in Ägypten hat umkommen lassen. Den
barmherzigen Gott sollte man nicht mit einem lieben Gott verwechseln, jenem harmlosen
Tattergreis, den niemand fürchten muss, den aber auch niemand wirklich braucht. In der Bibel
begegnen wir einem sehr lebendigen Gott, der voller Liebe ist, aber auch voller Zorn sein kann,
wenn sich Menschen über andere erheben, wenn sie einander Gewalt antun, einander unterdrücken,
statt einander zu dienen, sich einander anzunehmen, hin zu sehen und zu handeln, was gar nichts
großartiges sein muss und doch diese Welt verändern kann. Eine mutmachende Geschichte ist das,
was da von Rut und Naomi erzählt wird, und sie ist nicht die einzige. Also lasst uns unsere
frommen oder unfrommen Scheuklappen zur Seite legen und dieses Buch als das wahrnehmen, was
es ist: Ein spannendes, ein sehr lebendiges Buch, das von einem spannenden und lebendigen Gott
erzählt, der so ganz anders ist als wir es uns oft vorstellen. Gott sei Dank. Amen.
Vertrauen Corona Freiheit Verantwortung Geborgenheit
Matthäus 6, 5-15 "Betet"
Wie erleben Jugendliche und junge Erwachsene die Musik in unseren Gottesdiensten ?
Marcus Baumberger, Winzer aus Mandel, Iris Führ Berufsschullehrerin an der Weinbauschule Bad Kreuznach i.R. und Presbyterin und Pfarrer Stephan Maus beschreiben ihre jeweiligen Zugänge zum Bildwort vom Weinstock Joh 15,1-12
Die politische Dimension des Bildes vom guten Hirten
Wann gibt der Glaube mir Kraft? Von Sinn und Unsinn spiritueller Bemühungen.
Konfirmanden aus Bockenau, Mandel, Sponheim und Burgsponheim und Pfarrer Maus denken gemeinsam über das Thema Auferstehung nach. Kombination aus Videoclips der Konfis und einer Videopredigt von Stephan Maus.